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Tibetische Orakel:

Lhamo Tsewang Dolma und Lama Lobsang Sampten
Das ladakhische Orakel Lhamo Tsewang Dolma ist eines der beiden bedeutendsten „Orakel“ Ladakhs. „Orakel“ ist die in der Literatur übliche Bezeichnung für Schamanen des tibetischen Kulturkreises. Tsewangs Körper ist fähig, Geistwesen aus den höheren Welten mit einer sehr subtilen Energie zu empfangen, eine Energie, welche die feinen Nervenkanäle eines „normalen“ Menschen in wenigen Augenblicken versengen würde.

Sie ist 44 Jahre alt, hat vier Kinder und lebt mit ihrer Familie in der Nähe der Hauptstadt Leh in ihrer Heimat Ladakh. Aufgrund der hohen Herkunft ihrer Geister ist Tsewang Dolma in Ladakh kein „normales Orakel“. Sie ist ausschließlich für die Beratung in Staatsangelegenheiten und die Behandlung von schwer heilbaren Krankheiten zuständig.

Lama Lobsang Sampten wurde 1968 in Saspol, Ladakh geboren. Mit acht Jahren brachte ihn seine Familie in das abgelegene Felsenkloster Likir. Ein Meister der Gelugpa, des Ordens der Gelbmützen, deren Oberhaupt der Dalai Lama ist, nahm ihn auf und unterrichtete ihn. Fünf Jahre später, nach dem Tode des Meisters, sandte man Lobsang an die Klosteruniversität Drepung Gomang in der tibetischen Exilkolonie Mundgod, Südindien.

Diese Ausbildung umfaßte ein 16-jähriges Grundstudium der buddhistischen Philosophie und Geisteswissenschaften, dem die sechs Jahre dauernden Unterweisungen und Prüfungen in der Schule der Gelug folgten. 1998 erkannte der Dalai Lama in Lobsangs 14-jährigem Bruder die Reinkarnation (Tulku) seines ehemaligen Lehrers wieder und gab ihm den Namen Gyabum Tulku Lobsang Choden. Seither lebt der Tulku unter hohen Würden ebenfalls in der Exilkolonie Mundgod.

Das tibetische Orakelwesen
In der tibetischen Kultur hat das Orakelwesen eine uralte Tradition, eine Tradition, die schon Jahrtausende vor der Einführung des Buddhismus bestand. Die archaische Religion Tibets, der Bön, ist ein schamanistisch geprägter Animismus mit stark magischen Zügen. Heute ist das Orakelwesen mit dem Buddhismus verschmolzen und die Gottheiten des Mahayana-Pantheons haben die animistische Welt des Bön erheblich erweitert. Denn die Kosmographie des Mahayana-Buddhismus liefert die mit Abstand detaillierteste Landkarte des metaphysischen Universums, die uns zur Zeit auf der Welt zur Verfügung steht.

Tieftrance und Krankenheilung
In der Tieftrance lösen die Orakel ihr Individualbewußtsein auf, um dem höheren Bewußtsein der angerufenen Wesenheit Raum zu schaffen. Um die der Zeremonie beiwohnenden Teilnehmer vor dem „Atem des Geistes“ zu schützen, binden sich die Lha/mo´s ein Tuch vors Gesicht. Im Zustand der Tieftrance besitzen die meisten Lha/mo´s den sogenannten Röntgenblick. Dieser Blick durchdringt Felswände und Mauern ebenso mühelos wie den menschlichen Körper. Krankheiten und Störungen können umgehend erkannt werden.

Die tibetische Philosophie von Krankheit und Gesundheit
Der Heilungserfolg ist jedoch nicht nur abhängig von der Macht der Lha/mo´s und ihrer Geister. Wirkliche Heilung kann nur erfolgen, wenn der Kranke selbstverantwortlich mitarbeitet, seine destruktiven Denkmuster und Verhaltensweisen ändert, die von den Geistern der Lha/mo´s während der Behandlung schonungslos aufgedeckt werden. Die aus der Verdunkelung des Geistes erwachsene Illusion eines Ego führt in der Folge zu den beiden Eigenschaften Gier und Haß. Unwissenheit, Gier und Haß werden daher als die „drei Geistesgifte“ bezeichnet, welche wiederum die Basis für die stolze Summe von 84000 weiteren falschen Überzeugungen bilden und ebensoviele Krankheitsformen nach sich ziehen.

Im tibetischen Orakelwesen ist das schamanistische Gedankengut des Bön auf einzigartige Weise mit der komplexen Philosophie des Buddhismus verschmolzen. Die Effektivität ihrer Verschmelzung beweist, daß sich die beiden verschiedenen Weltbilder gegenseitig nicht ausschließen, sondern sich vielmehr ergänzen und bereichern.

Von Christina Hell